Zur Ächtung der Befreiungstiger von Tamil Eelam durch die EU
Prof. John Neelsen
Erklärung des EU-Rates [pdf] |
Am 31. Mai wurde in Brüssel der wenige Tage zuvor vom Rat der Europäischen Union gefaßte Beschluß, die Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) zur terroristischen Vereinigung zu erklären, veröffentlicht.
Im Ergebnis bedeutet das, wie im ersten Paragraphen der Deklaration ausgeführt, das sofortige Einfrieren aller Konten und die Untersagung gleich welcher materiellen Unterstützung der LTTE, sei sie auch nur indirekt. Zur Durchsetzung dieser Direktive sind die polizeilichen und juristischen Behörden aller 25 Mitgliedsstaaten gemeinsam aufgerufen. Zielt die EU in der Sache darauf ab, der LTTE Guerilla in Sri Lanka in ihrem Kampf gegen den Singhalesischen Staat den ausländischen Mittelzufluß abzuschneiden, hat sie als Zielgruppe die in Europa lebenden tamilischen Flüchtlinge im Visier.
1. Wenn die EU anschließend ihr Interesse bekundet, den Dialog mit der LTTE fortzusetzen, erkennt sie an, dass diese Organisation unumgänglicher Partner im Friedensprozeß ist. Sie versucht diese aber gleichzeitig als Konfliktpartei nicht nur materiell zu schwächen, sondern spricht ihr auch jede politische und ideelle Legitimation als Befreiungsbewegung ab. Schließlich negiert sie deren repräsentativen Charakter, in dem zwischen der LTTE, die man verdammt und zu marginalisieren sucht, und dem tamilischen Volk, dem man seine Sympathie ausspricht, unterschieden wird. Der Versuch, einen Keil einerseits zwischen der LTTE und den Tamilen im umkämpften Nordosten Sri Lankas und andererseits zwischen der LTTE und den tamilischen Emigranten in Europa zu treiben, entlarvt den erklärten Wunsch des EU Ministerrats, zu einem gerechten Verhandlungsfrieden beizutragen, als bloße rhetorische Floskel. Die implizite Botschaft der Deklaration an die Tamilen läuft darauf hinaus, sich dem Diktat Colombos zu unterwerfen. Objektiv kommt die Erklärung der EU einer Ermutigung zum Krieg gleich.
2. Formal erscheint die Erklärung ausgewogen, in soweit sie sich in den folgenden drei Absätzen an beide Kriegsparteien wendet und nicht nur die LTTE, sondern auch die Regierung für das Wiederaufleben der Kampfhandlungen verantwortlich macht. Beide werden aufgerufen, Gewaltakte in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu unterbinden. Weiterhin wird die Regierung aufgefordert, der ‘Kultur der Straflosigkeit’ ein Ende zu setzen und für Recht und Ordnung zu Gunsten aller Bürger des Landes Sorge zu tragen. Schließlich wird angekündigt, die weitere Entwicklung und das zukünftige Verhalten beider Parteien mit der impliziten Androhung von Sanktionen genauestens im Auge zu behalten. Doch diese formale Ausgewogenheit und Neutralität ist nur Schein. Sieht man sich Implikationen und Maßnahmen an, entsteht ein völlig anderes Bild.
3. Die Karuna Gruppe wird in der Erklärung als faktisch dritte Partei in dem Konflikt behandelt. Bei aller ausdrücklichen kritischen Distanz bedeutet diese Tatsache allein eine Aufwertung der Gruppierung mit dem Ziel der Spaltung der Tamilen und Infragestellung der Repräsentativität der LTTE. Unterschlagen wird, dass (a) sich die damalige UNP Regierung damit brüstete, bei der Abspaltung der Karuna Fraktion von der LTTE beteiligt gewesen zu sein (während sie gleichzeitig öffentlich für Friedensgespräche mit den Tigern warb); dass (b) in den Genfer Gesprächen vom Februar 2006 die LTTE Unterlagen über die –kaum überraschende- Kooperation zwischen den srilankanischen Streitkräften und den Paramilitärs von Karuna zwecks Fortführung eines Stellvertreterkrieges niedriger Intensität unterbreitete. (c) Nach Maßgabe des Waffenstillstandsabkommens vom Februar 2002 obliegt der Regierung die Verantwortung für die Entwaffnung der Paramilitärs, eine Verpflichtung, die die Regierung zu keinem Zeitpunkt zu erfüllen auch nur begonnen hat. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Regierung die paramilitärischen Verbände unter Kontrolle hat, wurde er in der Phase vor den Genfer Gesprächen geliefert, insoweit von einem Tag auf den anderen die Angriffe dieser Milizen aufhörten. Im Résumé: Die Behandlung der Karuna Fraktion als eigenständiger Gruppierung durch die EU kommt jenseits der partiellen Delegitimierung der LTTE einer Entschuldigung und Entlassung der Regierung aus ihrer Verantwortung gleich.
4. Der Appell an die Regierung Recht und Ordnung für alle Bürger gleichermaßen sicherzustellen und die an beide Parteien gerichtete Erinnerung an die Vereinbarung von Oslo vom Dezember 2002 ‘eine spezifische institutionelle Lösung für Sri Lanka auszuloten’, ist so vage und neutral in der Formulierung wie sie einseitig und falsch ist. Die Friedensgespräche im Anschluß an das –im Übrigen von der LTTE mit einer einseitigen Waffenruhe vorbereitete- Waffenstillstandsabkommen vom Februar 2002 wurden durch eine Konzession der LTTE von fundamentaler Bedeutung ermöglicht, nämlich einer Konfliktlösung auf Basis ‘interner Selbstbestimmung’ eine Chance zu geben. Die Gespräche in Oslo spezifizierten eine Föderale Verfassung als Basis einer eventuellen Lösung. Der LTTE Vorschlag einer internen Selbstverwaltungsbehörde (ISGA) vom Herbst 2003 beinhaltete dazu ein Operationsmodell. Im Gegensatz dazu ist von Seiten der beiden wichtigsten singhalesischen Parteien und den von ihnen getragenen Regierungen zu keinem Zeitpunkt ein entsprechender inhaltlicher (Gegen-)Entwurf vorgelegt worden. Ganz im Gegenteil, der Präsident und die gegenwärtige Regierungskoalition kamen an die Macht mit der ausdrücklichen Ablehnung jedweder Verwässerung des bestehenden zentralistischen Einheitsstaats. Es war eben diesselbe extrem nationalistische Koalition, die mit derselben Begründung die Post-Tsunami Operations Management Structure (P-TOMS) und damit den Zufluß und die Verteilung ausländischer Hilfsgelder zu Fall brachte. Für diesen Teil der singhalesischen Elite gibt es weder ‘die Bürger Sri Lankas’ oder einfach hilfsbedürftige Opfer von Naturkatastrophen, sondern zuallererst ‘Rassen’, vornehmlich Singhalesen und Tamilen. Einen Appell an beide Seiten zugleich zu richten, unterschlägt schlicht diese Wahrheit. Er schiebt die Schuld beiden Seiten zu, wo doch die Regierung speziell, die singhalesische Mehrheitsbevölkerung generell die Hauptverantwortung für die festgefahrene Situation tragen.
5. Auf diesem Hintergrund klingt die Bekundung der EU, den Dialog mit der LTTE fortsetzen, ihre Rolle als Tokyo Co-Chair weiterhin spielen, einen Beitrag zu einem Verständigungsfrieden leisten zu wollen, schlicht hohl und nicht wirklich ernst gemeint. Denn die Listung der LTTE als terroristischer Vereinigung verändert radikal deren Charakter von einer Partei in einem ethno-politischen Konflikt und gleichberechtigtem Verhandlungspartner zu einer Bande von Verbrechern, die mit Hilfe des Strafrechts und den Mitteln des staatlichen Repressionsapparats zu bekämpfen ist. Einer Grundvoraussetzung für Gespräche ist aber damit schon im Vorfeld der Boden entzogen, wie die damalige Wickremasinghe Regierung nur zu gut wußte, als sie im Frühling 2002 vor Beginn von Verhandlungen die Ächtung der LTTE aufhob.
6. Wie eingangs angedeutet, hat die Proskription der LTTE noch einen weiteren, äußerst beunruhigenden Aspekt. Richtet sie sich doch nicht nur gegen eine Guerilla-Bewegung, die auf einer weit entfernten Insel im Indischen Ozeean für ihre Rechte kämpft. Nein, hunderttausende tamilischer Flüchtlinge, die angesichts staatlicher Diskriminierung und kollektiver Verfolgung, einschließlich Pogromen, in ihrer Heimat auf der Suche nach Sicherheit und einem Leben in Frieden nach Europa gekommen sind, müssen erfahren, dass sie –fast wie in der Vergangenheit zu Hause- primär als Verdächtige betrachtet werden. Kein Tamile kann in Zukunft in der EU politisches Asyl aufgrund von staatlicher Verfolgung beantragen, ohne sich dem unmittelbar folgenden Vorabverdacht ausgesetzt zu sehen, direkt oder indirekt auf Seiten der LTTE zu stehen; die Bitte um Schutz vor Verfolgung wandelt sich leicht in gefängnisbewehrte Anklage wegen terroristischer Verbrechen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach den demokratischen Werten der EU. Hatte sich nicht die Tamil National Alliance (TNA), die in den Parlamentswahlen von 2004 22 der 23 Sitze in den Wahlbezirken des Nordostens erobert hatte, zur LTTE als ‘einzig authentischer Vertretung des tamilischen Volkes’ bekannt? War dies nicht der überwältigende demokratische Nachweis dafür, dass die Sri Lanka Tamilen die Tiger als Bollwerk und Garant ihrer existentiellen Interessen betrachten? Bedeutet deren Listung nun, dass jede Assoziation mit der TNA ‘Unterstützung einer kriminellen Vereinigung’ darstellt? Welche Entscheidung zukünftig im Einzelfall auch getroffen werden mag, jede Organisation der Tamilen hier in Europa, widme sie sich auch vornehmlich kulturellen oder humanitären Aktivitäten, steht von nun an unter der besonderen Beobachtung der zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit aufgerufenen Polizei, der Geheimdienste und juristischen Behörden in allen Ländern der EU, von Italien bis zu den Niederlanden, in Deutschland ebenso wie in Frankreich oder Großbritannien. Der ständigen Überwachung und Denunziation sind Tür und Tor geöffnet. Angst wird von nun an ein ständiger Begleiter der bereits sozial marginalen, rechtlich weitgehend ungesicherten tamilischen Flüchtlinge in Europa sein. Jede Sendung, jede materielle Unterstützungsleistung zu Gunsten der in Sri Lanka Zurückgebliebenen fällt unter den Generalverdacht einer Hilfe für die LTTE, mit denen assoziiert zu werden, jeden zum Terroristen und Verbrecher stempelt.
Es ist hohe Zeit, dass nicht nur die Tamilen und alle anderen Immigranten in der EU, sondern vor allem auch die alt eingessenen Bürger sich im Protest gegen diese weitere staatlich induzierte Untergrabung der Menschenrechte erheben, nicht nur aus Solidarität mit einer verfolgten Minderheit, sondern in ihrem langfristigen ureigenen Interesse.